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Jochen Stelzer
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Mit allen vier Rädern fest im Leben

Ich stehe mit allen vier Rädern fest im Leben

Gedanken über ein eigenverantwortliches, zukunftorientiertes Leben

Wie sieht mein Leben aus, wenn die Eltern nicht mehr sind? Spätestens bei dieser Frage trifft die beängstigende Erkenntnis, dass ich nicht ewig in der "sicheren", "beschützenden", "einengenden" elterlichen Obhut mein Leben einrichten kann. Die Suche nach Alternativen beginnt. Aber welche tragfähigen Alternativen stehen mir Schwerstbehinderten zur Auswahl?

Die Familie: Notgemeinschaft für immer?

Auch ohne einen zwingenden Umstand stellt sich im Laufe der Zeit die Frage nach Lebensperspektiven. Das tägliche Miteinander in der Familie sieht doch in den meisten Fällen so aus: Eltern und der Behinderte stoßen immer häufiger und zunehmend heftiger an die Grenzen des Machbaren, streifen das Ende der gegenseitigen Toleranz, berühren den Konflikt aus "Verantwortung für den Behinderten“, “helfen-müssen“, “Freiräume eröffnen" und "eigene Bedürfnisse umsetzen wollen".

Der Druck, der auf beiden "Parteien" lastet, schaukelt sich hoch, lässt sich nur noch mit zusätzlicher Mühe und Beherrschung kontrollieren. In vielen Fällen verkrampft das schon angespannte Miteinander und wirkt sich weiträumig in den sozialen Beziehungen aus. Eltern, pflegende Angehörige und der Schwerstbehinderte empfinden dieses "unabwendbare", perspektivlose Aufeinanderangewiesensein als wachsende Belastung, selbst wenn die familiäre Harmonie ohne Bruch ist und ein liebevolles Miteinander praktiziert wird. Es bleibt die Belastung, das gegenseitige “sich-arangieren-müssen“, die Abhängigkeit, die Einengung des jeweiligen Freiraums. Spontaneität schrumpft für beide Seiten auf das Maß des Machbaren. Lebenspläne reduzieren sich auf die Organisation des Alltags. Die Schwerstbehinderung kettet Eltern und den Behinderten aneinander, auch beim Blick in die Zukunft. Im günstigsten Fall wächst im Lauf der Persönlichkeitsbildung des Behinderten der Wunsch, sich auf die eigenen Fähigkeiten zu besinnen und sein Leben eigenverantwortlich in die Hände zu nehmen. Im ungünstigsten Fall drängen sich äußere, meist tragische Ereignisse in die Lebenspläne und zwingen zu schnellen, meist fehlerhaften Notlösungen. Guter Rat, schnelle Hilfe, tut dann Not. Wer übernimmt die Pflege, wer steht den pflegenden Angehörigen, dem Schwerstbehinderten helfend an der Seite? - Die "Übersiedlung" in ein Pflegeheim sollte wirklich als die letzte Möglichkeit am Ende von ideenreichen Überlegungen angedacht werden!

Aktive Lebensplanung vorbereiten

Spätestens an diesem Punkt rächt sich das Versäumnis, den Schwerstbehinderten auf sein elternunabhängiges Leben vorbereitet zu haben. Der gutgemeinte Blick in die Zukunft des Behinderten wird leider noch zu oft durch die Brille der Eltern, der pflegenden Angehörigen getan. Organisation seines Tagesablaufs, Zukunftsplanung, hinarbeiten auf befriedigende Lebensmöglichkeiten, geschehen über seinen Kopf hinweg, ohne ihn wirklich umfassend und im Rahmen seiner Möglichkeiten einzubeziehen und mitgestaltend Einfluss nehmen zu lassen. Die Frage, ob das möglich ist, ob selbst Schwerstbehinderte "auf eigenen Beinen" stehen können, wird vorschnell verneint, und dieses einmauernde, finale Nein ist nicht zwingend notwendig. Es gibt genügend mutmachende Beispiele. die aufzeigen. wie der Weg zu einem breitangelegten, individuellen, selbstverantwortlichen Leben eines Behinderten aussehen kann.

Man muss es wagen wollen: der Behinderte, beim Begehen des eigenen, unbekannten Lebensweges. die betreuenden Eltern und Angehörigen beim “loslassen-müssen“. Die ersten Gehversuche müssen frühen gewagt werden, mit dem Angebot an den Schwerstbehinderten. eigene Erfahrungen zu sammeln.

[Jochen Stelzer Muskelreport 1/94]


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