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Jochen Stelzer
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Progressive Muskeldystrophie

DIE PROGRESSIVEN MUSKEL-DYSTROPHIEN

Progressive Muskeldystrophie ist die übergreifende Bezeichnung für eine Gruppe sehr verschiedener, chronisch verlaufender Krankheiten der Skelettmuskulatur, die mit einem fortschreitenden Verlust an funktionstüchtiger Muskelsubstanz einhergehen.
Ursache für den Muskelschwund ist bei allen diesen Krankheiten eine bis heute nicht behandelbare Schädigung der Muskelzellen, die bis zur vollständigen Zerstörung der betroffenen Muskeln fortschreiten kann.
Die häufigste Muskeldystrophieform des Kindesalters ist der nach seinem Erstbeschreiber Guillaume Duchenne benannte Typ, die häufigste Form des Erwachsenenalters ist die myotonische Dystrophie.

Ausmaß der Schädigung

Nicht alle Muskeln werden gleichzeitig von der Krankheit betroffen. Die Schädigung beginnt meist in rumpfnahen Muskeln des Beckengürtels oder des Schultergürtels, manchmal aber auch im Gesicht oder in den Händen und Unterarmen. In späten Erkrankungsstadien kann sie sich auf die gesamte Skelettmuskulatur, sogar auf die Atemmuskulatur ausdehnen.
Im Gegensatz zur multiplen Sklerose ist bei den progressiven Muskeldystrophien das Nervensystem nicht mitbetroffen. Die Funktion von Blase und Mastdarm, der Sinnesorgane,die Gefühlswahrnehmung und die geistige Leistungsfähigkeit werden meist nicht beeinträchtigt. Auch spastische Lähmungen, wie sie bei Erkrankungen des Gehirns und des Rückenmarks, etwa der multiplen Sklerose (MS), seltener auch bei der amyotrophischen Lateralsklerose (ALS) vorkommen treten niemals auf.

Vorkommen

Muskeldystrophien sind seltene Krankheiten. Sie kommen auf der ganzen Welt in regional unterschiedlicher Zahl mit einer durchschnittlichen Häufigkeit von etwa 10 Erkrankten auf 100.000 Einwohner vor. Diese geringe Zahl teilt sich noch auf die verschiedenen Formen von Muskeldystrophie auf, die sich durch Erbgang, bevorzugten Beginn in bestimmten Muskelgruppen, und Geschwindigkeit des Fortschreitens unterscheiden.

Geschwindigkeit des Fortschreitens

Obwohl die Erbanlage für eine Muskeldystrophie immer bereits bei der Geburt vorhanden ist, werden erste Krankheitserscheinungen häufig erst im Kleinkind- oder Jugendalter, bei bestimmten Formen auch erst im Erwachsenenalter bemerkbar.
Dies hängt mit der Geschwindigkeit des Fortschritts der Muskelfaserschädigung zusammen, die bei den einzelnen Dystrophieformen sehr unterschiedlich ist. Diese Latenzen sind zum großen Teil durch die unterschiedlichen Auswirkungen der jeweiligen Mutation (Veränderung der Erbanlage) bedingt.
Warum das im Einzelfall so ist, ist derzeit unbekannt. Gewöhnlich wird eine Beeinträchtigung der Kraft eines Muskels erst dann festgestellt. wenn etwa 40% seiner Fasern bereits zerstört sind.

Symptome der progressiven Muskeldystrophien

Als erste Krankheitserscheinung wird häufig eine Schwäche der Beckenmuskulatur bemerkt. Der Kranke hat dann Schwierigkeiten beim Laufen, kann nicht mehr so gut Treppen steigen oder sich aus der Hocke aufrichten. Später kommt es zu einer Schwäche im Schultergürtel: Die Schulterblätter stehen ab, die Oberarme können nicht mehr so gut gehoben werden wie früher, zuvor mühelos bewältigte Lasten fallen schwer.
Bei manchen Formen, so der fazio-skapulo-humeralen Form (= Gesicht, Schulter, Oberarm), bemerkt der Kranke als erstes einen schwachen oder gar unvollständigen Lidschluß und Schwierigkeiten beim Pfeifen. Zusätzlich kommt es auch hier zu einer Schwäche der Oberarme. Bei einigen Formen von Muskeldystrophie (Duchenne- und Becker-Form, myotonische Dystrophie) kann der Herzmuskel mitbetroffen sein.
Der Kranke verspürt dann häufig einen schnellen oder unregelmäßigen Herzschlag, in schweren Fällen auch Atemnot bei körperlicher Anstrengung. In fortgeschrittenen Stadien liegen häufig Kontrakturen vor, d.h. fixierte, kaum korrigierbare Fehlstellungen der Gelenke infolge narbiger Verkürzung der auf sie einwirkenden Muskeln.
Wenn Kranke sich im Bett nicht mehr aus eigener Kraft drehen können, besteht die Gefahr des Wundliegens und der Entstehung von Druckgeschwüren (Dekubitus) der aufliegenden Haut. Auch zu einer Verbiegung der Wirbelsäule (Skoliose) kann es bei Befall der die Wirbelsäule stabilisierenden Rumpfmuskulatur kommen. Die Folgen sind Rückenschmerzen und Behinderung der Atmung. Durch den Befall der Atemmuskulatur selbst kann es bei den Gliedergürtelformen leicht zu Infektionen der Atemwege mit allen schwerwiegenden
Komplikationen kommen. Die Lebenserwartung kann dadurch verkürzt sein.

Erbgang

Beim weiblichen Geschlecht enthält jeder Zellkern zwei X-Chromosomen, eines vererbt von der Mutter und das andere vom Vater. Beim männlichen Geschlecht enthält jeder Zellkern nur ein X-Chromosom, vererbt von der Mutter, und ein kürzeres Y- Chromosom, vererbt vom Vater. Auf dem Y- Chromosom haben weniger Gene Platz als auf dem X-Chromosom.
Vielleicht ist das der Grund, daß die meisten Gene des X-Chromosoms sich deshalb beim männlichen Individuum durchsetzen, sogar die rezessiven.
Die Gene für die Duchenne- und Becker-Muskel- dystrophien sind auf dem X-Chromosom lokalisiert und rezessiv. Frauen mit dem Duchenne-Gen auf einem X- Chromosom zeigen Merkmale der Krankheit nicht, da das zweite X-Chromosom normal ist und seine Funktionen richtig übernimmt. Die Kinder dieser sogenannten Überträgerinnen (Konduktorinnen) haben die 50%ige Wahrscheinlichkeit, das Duchenne- Gen zu erben.
Weibliche Nachkommen mit dem Duchenne-Gen sind wieder Überträgerinnen, die männlichen aber werden Betroffene. Die anderen Muskeldystrophieformen werden über autosomale Gene vererbt, wobei sowohl dominanter als auch rezessiver Erbgang vorkommt.

Behandlung

Obwohl vieles über den Ablauf der Muskelfaser- schädigung bei den Muskeldystrophien bekannt ist, verstehen wir deren eigentliche Ursache noch nicht. Auch kennen wir kein einziges Medikament, mit dem man in den Krankheitsprozeß wirksam eingreifen könnte.

Stand der Forschung

In zahlreichen Zentren der Welt wird intensiv nach der Ursache der Muskeldystrophien geforscht. Auch in Deutschland sind Wissenschaftler und Ärzte auf diesem Gebiet tätig. Sie stehen in engem Erfahrungsaustausch mit den internationalen Zentren.
Unsere Anstrengungen konzentrieren sich auf die Suche nach wirksamen Medikamenten, Verbesserung rehabilitativer Behandlungsmethoden, die Früher- kennung der Muskeldystrophien und die Entwicklung noch genauerer und empfindlicherer, dabei aber weniger belastender Untersuchungsmethoden.
Das verantwortliche Gen ist für die häufigste Muskeldystrophieformen inzwischen bekannt. Der Stoff, der für die Entstehung einer Muskeldystrophie vom Typ Duchenne oder Becker verantwortlich ist,
ist seit 1987 bekannt.
Es handelt sich um einen speziellen Eiweißkörper der für die regelrechte Funktion der Muskelfasermembran notwendig ist.
Er wird Dystrophin genannt.


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