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Jochen Stelzer
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Über individuelle Schwerstbehindertenbetreuung

[Dieser Artikel beschreibt meine Hilfeorganisation bis 2006. Ab meiner dauerhaften Bettlägerigkeit mußte ich alle Hilfen umstellen.]

Verlässliche Hilfen zur Bewältigung meines Tagesablaufes waren für mich unerlässliche Voraussetzung, um in einer eigenen Wohnung selbstverantwortlich leben zu können. Planung und Organisation dieser Hilfen nahmen daher einen wesentlichen Raum ein bei meinem Vorhaben "eigene Wohnung". Bei meinen Überlegungen legte ich großen Wert auf flexible Hilfen, die auf vielen Schultern verteilt liegen sollten.
Caritas-Sozialstation für den Vormittag
Seit ich in meiner eigenen Wohnung leben, übernimmt von Montags bis Freitags eine Familienpflegerin der Caritas-Sozialstation die Aufgabe, mich aus dem Bett zu holen, zu waschen, anzuziehen und stellt den pflegerischen Teil sicher. Das zubereiten des Frühstücks gehört ebenfalls zu ihren Aufgaben. Zweimal wöchentlich kauft sie ein und bereitet mir das Mittagessen zu. (Abgerechnet werden die 10,5 Wochenstunden nach den Leistungsmodulen mit der Pflegeversicherung.)
Zivildienst für den Nachmittag und Abend
Den stundenmäßig größten Teil meiner Betreuung organisierte ich mit Zivildienstleistenden eines Behindertenvereins, der die individuelle Schwerstbehindertenbetreuung anbot. Täglich von 16:00 bis 23:00 stand mir jeweils ein ZDL zur Verfügung, mit dem ich "das Leben in der eigenen Wohnung" organisierte. An den Wochenenden teilte sich ihr Dienst auf den Frühdienst (10:00 bis 13:00) und den Spätdienst (19:00 bis 23:00) auf. Täglich wechselten sich die Zivildienstleistenden ab. Die genauen Einsatzzeiten sprach ich mit der zuständigen Beauftragten für den Zivildienst jeweils für den kommenden Monat ab. (Die Kosten für den Zivildiensteinsatz übernahm das örtliche Sozialamt.) - Mich auf täglich wechselnde Zivildienstleistende einzustellen, bereitete mir keine Probleme, im Gegenteil, jeder neue Zivildienstleistende stellte eine Bereicherung da. Wirkliche substantielle oder bedrohliche Pannen in meiner "Zivi-Zeit" gab es nicht. Ein Grund dafür mag meine Fähigkeit sein, mich schnell auf Menschen einzustellen und ein gutes, soziales Klima aufzubauen. Ein weiterer Grund lag auch in der sehr sorgfältigen Auswahl der Zivildienstleistenden.
Betreuung durch den Zivildienst ohne Perspektive
Mitte der neunziger Jahre veränderte sich nachhaltig die Situation im Zivildienst. Die Zivildienstdauer ging kontinuierlich zurück und es meldeten sich immer weniger Zivildienstleistende zur Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung. Nur durch persönliches Ansprechen, Flüsterpropaganda und werbende Zeitungsartikel war der Behindertenverein in der Lage, eine ausreichende Zahl an ZDL’s zur Sicherstellung seiner Dienstleistungen zu bekommen. Es traten dennoch immer wieder kleinere und größere Lücken auf, in denen die Dienstleistungen auf ein Minimum reduziert werden musste. Die Situation verschärfte sich dramatisch im Jahr 2000, als die Dienstzeit erneut reduziert wurde. Nur durch Hilfestellungen von Freundinnen und Freunden und die Organisation meiner Betreuung durch Honorarkräfte konnte ich eine mehrmonatige Zivildienstlücke überbrücken. Diese Zeit der großen Unsicherheit und der Zukunftssorgen machte deutlich, dass eine mittel/langfristige Betreuung durch Zivildienstleistende keine Zukunft mehr hat. Die Suche nach Alternativen begann.
Das Assistenzmodell als Zukunftsperspektive
Durch Recherchen im Internet und Kontakt zu einer mir bekannten Rollstuhlfahrerin erhielt ich die ersten Informationen zum Assistenzmodell. Das Modell faszinierte mich sehr, aber der verwaltungstechnische Aufwand beim "klassischen Assistenzmodell" - eigener Arbeitgeber - schreckte mich doch ab. Als Reaktion auf einen selbstverfassten Zeitungsartikel erhielt ich einen Flayer der SAB Selbstbestimmte Assistenz von Behinderten. Ich setzte mich mit der des SAB in Verbindung. Ihr Konzept überzeugte mich und ich beauftragte sie, für mich das Assistenzmodell auf den Weg zu bringen.
Zur Zeit organisiere ich mit drei Assistentinnen/Assistenten mein Leben. (Eine Vollzeitstelle, eine Teilzeitstelle und eine Stelle auf 420 EUR-Basis.) Bei der Auswahl der Assistenten und Assistentinnen habe ich volles Mitspracherecht. Die Zufriedenheit beim Assistenzmodell steht und fällt mit der sorgfältigen, "passenden" Auswahl der Assistenten. - Ich spreche mit ihnen individuell ihrer Dienstzeiten ab. Der Einsatz läuft sehr flexibel und kann täglich umgestellt werden. Ich bin "Herr des Verfahrens". Neun Stunden täglich assistieren sie mir, in der Woche und an den Wochenenden. (An den Wochentagen von 14:00 bis 23:00, an den Wochenenden gesplittet von 10:00 bis 13:00 und 17:00 bis 23:00.) Die Zusammenarbeit ist sehr angenehm, da meine Assistentinnen und Assistenten über Lebenserfahrung verfügen und mit einer höheren Motivation (sie verdienen hier ihr Geld) ihrer Arbeit erledigen. Schulung und Qualitätskontrolle durch die SAB unterstützt ihrer Arbeit.
Im Gegensatz zu Zivildienstleistenden, mit ihren immer kürzer werdenden Dienstzeiten, wechseln meine Assistentinnen und Assistenten selten, durchaus angenehmen für beide Seiten! Zudem ist es nicht zu verachten, mich auf ein kleines, verlässliches Team zu konzentrieren, denn die ganze Organisation des Dienstes wird direkt und unmittelbar zwischen mir und meinen Assistenten geregelt. Ein großer Vorteil für mich, denn nur so kann ich meine vielfältigen gesellschaftlichen, politischen und privaten Aktivitäten planen und aufrechterhalten.
Finanzierung des Assistenzmodells
Das Assistenzmodell ist recht teuer, daher sperren sich die Sozialämter bei der Kostenübernahme. Mit Hilfe der SAB formulierten wir einen aussagestarken Antrag. Das örtliche Sozialamt signalisierte überraschenderweise eine mögliche Zustimmung, machte sie aber endgültig vom Gutachten des MDK abhängig. Das Gutachten viel positiv aus. (Parallel recherchierte das Sozialamt nach anderen, vergleichbaren Anbietern, die meine vielstündige Betreuung sicherstellen könnten, ohne Erfolg.) Daher genehmigte mir das Sozialamt erst auf drei Monate, dann auf Widerruf meine Assistenz. - Die Kosten werden voll übernommen.
Meine mehr als zweijährigen Erfahrungen sind durchweg positiv. Es ist große Planungssicherheit in mein Leben gekommen mit sichtbaren und spürbaren Auswirkungen auf Geist und Körper.
Fahrdienst für Behinderte
Den Transfer zu meinen außerhäuslichen Aktivitäten organisiere ich mit dem Behindertentaxi des Arbeiter Samariter Bundes, vormals Arbeiterwohlfahrt. Leider zeichnen sich derzeit substantielle Einsparungen im Fahrdienst ab, deren Auswirkungen noch nicht absehbar sind.
Haushaltshilfe
Zur Sicherstellung der haushälterischen Arbeiten übernimmt das Sozialamt die Kosten einer Haushaltshilfe, 5 Stunden in der Woche hält sie meine Wohnung sauber und ist für alle Arbeiten zuständig, die nicht durch die anderen Dienstleistungen abgedeckt werden.


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