Privatisierung der Marler Abwasserbeseitigung
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Rede im Werksausschuss ZBH
Im Mittelpunkt aller Überlegungen steht die zentrale Frage: warum Privatisierung?
Mit der Sitzungsvorlage Nr. 3737 beschreibt die Verwaltung aus ihrer Sicht die Ziele einer privaten Beteiligung an der Abwasserentsorgung der Stadt Marl wie folgt:
- dauerhafte Sicherung der Verfügungsgewalt über das Anlagevermögen und Wahrung des kommunalen Einflusses - das haben wir auch jetzt schon;
- Sicherung der Interessen der Mitarbeiter - das haben wir auch schon jetzt;
- Sicherung der dauerhaften und ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung - wird vom ZBH schon immer praktiziert;
- aufgabengerechte Investitionstätigkeit - gehört zum Tagesgeschäft des ZBH;
- Erzielung eines maximalen Erlöses zu Entlastung des kommunalen Haushaltes - ist zu überprüfen und politisch zu bewerten keine neuorganisationsbedingten Gebühren- bzw. Entgelterhöhungen - spielt derzeit beim Teilbetrieb Abwasserentsorgung keine Rolle, scheint aber
- durch negative Erfahrungen von durchgeführten Privatisierungen ein notwendig zu bedenkender Aspekt zu sein.
Welche Ziele wollen wir mit einer Privatisierung erreichen?
Wenn wir diese Frage beantworten, müssen wir auch die Frage beantworten, ob unsere kommunale Abwasserentsorgung so schlecht ist, dass eine Privatisierung dringend nötig ist. Für die SPD ist klar, dass der Teilbetrieb Stadtentwässerung mit seinen 15 Mitarbeitern eine zweckmäßige und kostendeckende Dienstleistung anbieten.
Die Vorteile der kommunalen Abwasserentsorgung sind klar:
- das gemeinwirtschaftliche Interesse steht im Vordergrund;
- der Betrieb erfolg zweckmäßig und verantwortungsvoll;
- die Qualität ist gesichert und überwacht;
- unnötige Kosten werden vermieden;
- die Gebühren sind günstig und angemessen;
- die Stadt ist alleiniger Besitzer des städtischen Kanalnetzes.
Diese Vorteile können also nicht der Grund für eine Privatisierung sein!
Geht es also um die Verbesserung der Abwasserwirtschaft oder darum, dass die Stadt Geld braucht?
Wenn wir ehrlich mit der Frage der Privatisierung umgehen, müssen wir zugeben, dass das einzige Ziel einer Privatisierung der städtischen Abwasserwirtschaft der Haushaltesaspekt ist. Daher ist die Frage zu beantworten: worauf verzichtet der Kämmerer in den folgenden Jahren? Wie stellen sich die einmaligen Einnahmen aus dem Privatisierungserlös (Nutzungsentgelt und Verkauf der Gesellschaftsanteile von 49 Prozent an der zu gründenden Abwasserentsorgungsgesellschaft) und die Mindereinnahmen in den Folgejahren da?
Der Eigenbetriebe ZBH in der heutigen Struktur erwirtschaftet zum einen durch die Abschreibungen auf das Kanalvermögen, zum anderen aus der Differenz zwischen kalkulatorischen und effektiven Zinsen positive Ergebnisse. Ein Beispiel: kalkulatorisch sind, abgesichert durch die Rechtsprechung, 7% Zinsen in der Gebührenkalkulation einsetzbar. Der effektive Zins für kommunale Darlehen liegt zur Zeit so um die 5%, so dass allein aus dieser Differenz 2% per anno für das Vermögen vom Gebüh-renzahler "gewonnen" werden. - Die geschilderte finanztechnische Praxis wird bei einem Verkauf natürlich der zukünftige Besitzer zur Gewinnmaximierung nutzen. Es ist also finanzmathematisch präzise zu ermitteln, ob es nicht günstiger ist, diese Überschüsse auf Dauer selbst zu nutzen und nicht zu verkaufen.
Wer profitiert bei einer Privatisierung der Marler Abwasserentsorgung? Sind es die Gebührenzahler, ist es der städtische Haushalt oder ist es ein privates Dienstleistungsunternehmen?
- Aus Sicht der SPD wird sich für die Gebührenzahler nichts oder wenig ändern. Die Abwassergebühren werden moderat steigen, wie bisher.
- das private Unternehmen wird Gewinne erwirtschaften, die " irgendwo" herkommen.
- Der städtische Haushalt erfährt eine kurz,- mittelfristige Entlastung durch das schlagartige zurückzahlen des Trägerdarlehens. (Das Trägerdarlehen valutiert zum 1.1.2005 noch in einer Höhe von 26. 408 T EUR. Es ist bis 2011 zu tilgen.
Aus dem Wegfall von Tilgung und Zinsen ergeben sich für den städtischen Haushalt im Zeitraum 2005-11 Einnahmeverluste in Höhe von 30. 550 T EUR. Entlastet wird der Haushalt gleichzeitig ab 2005 dadurch, dass er Kredite in Höhe von 26. 408 T EUR tilgen kann.
Warum steigen immer mehr großer Energiekonzerne in die kommunalen Versorgungsstrukturen ein?
Die großen Energiekonzerne nutzen die Gunst der Stunde. Während die Kommunen das letzte Hemd verkaufen müssen, setzen sie steuerfreie Rückstellungen und liquide Mittel aus dem Firmenimperium ein, um den aus strategischer Sicht unbezahlbaren Besitz der kommunalen Versorgungsstrukturen übernehmen zu können. So betrug das Wassergeschäft im Wirtschaftsjahr 2001/2002 bei RWE nur 3% am Umsatz, steuerte aber zu 20% zum Betriebsergebnisse bei.
Bei der Privatisierung geht es nicht um die vermeintlich bessere Effizienz der privaten Geschäftsbesorger - wie allgemein geglaubt wird - sondern einzig allein darum, dass die Bürger künftig keine Gebühren an die Kommunen, sondern direkt oder indirekt Preise mit Gewinnanteilen an das neu zu schaffenden private Regionalmonopol zahlen sollen. (Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass wir bei einer Privatisierung ein kommunales Monopol auf Jahrzehnte einem privaten Betreiber zur Verfügung stellen. Langfristig geht es bei der Privatisierung leitungsgebundener kommunaler Anlagen ausschließlich um den Verkauf kommunalen Eigentums an private Regionalmonopole.) Private Betriebsführungen sind jedoch eine problematische Form des kommunalen Outsourcings, weil es infolge zu Kompetenz- und Identifikationsverlusten von bzw. mit den kommunalen wasserwirtschaftlichen Anlagen kommt. Ohne Kompetenz und Identifikation ist aber keine wirksame Kontrolle möglich. Eine Kommune, die ihre technische und kaufmännische Geschäftsführung privatisiert, sollte sich also darüber im klaren sein, dass sie damit ihre Kontrolle aufgibt, weil sie nie in der Lage sein kann, eine private Geschäftsführung wirkungsvoll zu kontrollieren. Das betreffende Unternehmen wird mit unternehmerischer Routine und spielerischer Leichtigkeit eine wirkliche Kontrolle zur Wahrung kommunaler Interessen zu verhindern wissen. Wahrscheinlich ist es sogar naiv zu glauben, eine Kommune könne die Privatisierung wirklich kontrollieren oder sogar für sich ausnutzen.
In diesem Zusammenhang will ich auch einen moralischen Aspekt in die Diskussion einführen: Privatisierung der kommunalen Wasserwirtschaft ist für die SPD Ausdruck des Werteverfalls von kommunalem Eigentum.
Was geben wir bei einer Privatisierung auf?
Wir geben die uneingeschränkte Kontrolle über ein unerlässlich notwendiges Stück Infrastruktur ab, in der Hoffnung, dass der finanzielle Privatisierungserlös, mit seiner Folgewirkung, einen wesentlichen Beitrag zur aktuellen Haushaltssanierung leistet.
1999 gründeten wir den ZBH als Eigenbetrieb mit seinen Sparten. Ziel war und ist es, gute Dienstleistungen zu vernünftigen Preisen anzubieten. Dies leistet der ZBH und es zeigte sich in den vergangenen vier Jahren, das Optimierungen machbar sind, dass die Gebühren im Interesse der Gebührenpflichtigen verantwortungsvoll festgesetzt werden, und das die Gemeinwohlorientierung ein wichtiger Bestandteil des Selbstverständnisses des ZBH ist.
Nach sorgfältiger Abwägung der Vor,- und Nachteile einer privaten Beteiligung Dritter an der Abwasserentsorgung der Stadt Marl kommt die SPD zu dem Ergebnis, dass wir einer Privatisierung der städtischen Abwasserentsorgung nicht zustimmen wer-den. Die gerechneten und teilweise erhofften Vorteile (z. B. durch Zinshöhenschwankungen) für den städtischen Haushalt wiegen unserer Meinung nach nicht die Übertragung des städtischen Kanalnetzes in eine noch zu gründende Abwasserentsorgungsgesellschaft unter privater Beteiligung Dritter auf.
Trotz des enorm hohen Konsolidierungsdrucks des städtischen Haushaltes ist die SPD Fraktion derzeit nicht bereit, die städtische Abwasserentsorgung zu privatisieren.
Unserer Meinung nach gibt es aber andere, bürgerfreundliche Möglichkeiten, um Fremdkapital aufzubringen, dass zur Tilgung des Trägerdarlehens genutzt werden kann. Dazu wird die SPD Fraktion im weiteren Verlauf unser heutige Sitzung einen Vorschlag präsentieren.