Was ist sexueller Missbrauch
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Jochen Stelzer Marl, den 07.03.2001
Bebelstraße 14 a
45770 Marl
Vorsitzender des Kinder-, Jugend-, und Familienausschusses
An
Herrn Jochen Menn
Martin-Luther-King Gesamtschule
Georg-Herwegh-Straße 67
45772 Marl
Verehrter Herr Menn,
liebe Schülerinnen und Schüler des Leistungskurses Sozialwissenschaften, Jahrgang 12!
Mit großem Interesse verfolgte ich die Berichterstattung über euer Projekt zum Thema „Was ist sexueller Missbrauch?“. – Leider konnte ich an der Präsentation am Donnerstag nicht teilnehmen, da wir eine Sondersitzung des Stadtrates hatten. Auf diesem Wege aber ein ehrliches Dankeschön für eure Einladung.
Mit eurem Projekt liegt ihr, leider, genau im Trend. Sexueller Missbrauch, Gewalt und Suchtprobleme sind derzeit sehr aktuelle Themen, die wir Jugendpolitiker diskutieren und nach Lösungen und Hilfen suchen. Mit eurer bemerkenswerten Arbeit seit ihr sehr nahe bei den Menschen, bei einem hochsensiblen Problem. Ich bin mir sicher, dass ihr nicht nur einen vertiefenden Einblick gewonnen habt, sondern einen geschärften Blick mit in euer weiteres Leben nehmt.
Der Ausschuss für Kinder- Jugend und Familie befasst sich seit ½ Jahr sehr intensiv mit den „Marl-spezifischen“ Aspekten von Missbrauch, Gewalt und Sucht. Dazu regte der Ausschuss u.a. eine umfassende Analyse derjenigen Fälle an, die dem Jugendamt und den unterschiedlichen Beratungsstellen bekannt sind. Darüber hinaus beziehen wir den „Familien- und Sozialbericht“ ein, den der Rat in Auftrag gab und der sehr kleinräumig die Lebenssituation und die sozialen Bedingungen in den einzelnen Stadtteilen hinterfragte.
Ohne eine tiefgreifende Bewertung vorzunehmen, hier nur einige Kernaussagen:
Ø Immer mehr Mädchen werden auffällig und sind betroffen;
Ø Bei den teilstationären und stationären Hilfen sind erhebliche Steigerungen zu verzeichnen:
III/1999 III/2000
Tagesgruppe 22 43
Vollzeitpflege 130 132
Heimunterbringung 64 80
andere Wohnformen 26 32
Ø Bei den Heimunterbringungen gab es in der Altersgruppe der 14 bis u.18 Jährigen eine Verdreifachung der Fallzahlen seit 1998 bis heute;
Ø Der Anteil der Mädchen stieg bei den Heimunterbringungen von III/1999 (17) auf III/2000 (25) Fälle;
Ø ¾ aller Klienten lebten nicht mehr in ihrer Ursprungsfamilie;
Ø ¾ aller Klienten stammen aus sozial schwachen Familien;
Ø in 1/3 aller Familien haben weitere Angehörige eigene Erfahrungen mit den „Hilfen zur Erziehung“;
Ø in 10% der Fälle waren die Eltern selbst betroffen;
Ich will euch mit weiteren Zahlen nicht „erschlagen“. Wie ihr sicher bei euren Recherchen erfahren habt, ist es unerlässlich, in die Tiefe zu gehen, um die Analyse „wasserfest“ zu machen und die notwendigen Maßnahmen auf eine datengestützte Basis zu stellen.
Marl liegt mit seinen Problemen im Trend vergleichbarer Städte. Auffallend ist dennoch die hohe Jugendarbeitslosigkeit und eine Häufung einzelner Probleme in bestimmten Stadtteilen (z.B. hoher Anteil an Sozialhilfeempfänger, hoher Anteil an Jugendlichen).
Ihr fragt nun bestimmt, was die Politik dagegen unternimmt. Neben den „Standartangeboten“ sind wir derzeit dabei, die erhobenen Daten und Fakten zu bewerten und passgenaue Hilfsangebote zu entwickeln. Relativ konkret ist die Überlegung, ein Angebot zur „Gewalt- und Suchtprävention“ an Grundschulen aufzubauen. (Die Parteien überprüfen derzeit, wie solch ein Angebot finanzierbar ist. Leider stehen alle wünschenswerten neuen Aktivitäten unter dem Diktat des Geldes. Da Marl mit ca. 98 Mio. DM Defizit in 2001 „leben“ muss, ist der Spielraum für uns Jugendpolitiker gleich Null.)
Mein Brief sollte eine kleine Reaktion auf euer tolles Projekt sein und aufzeigen, wie aktuell ihr mit dem gewählten Thema seit.
Für eure weiteren Aktivitäten wünsche ich euch eine glückliche Hand.